Gast01 |
Verfasst am: 12. Apr 2012 16:02 Titel: Heinrich Mann. Der Untertan. |
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Meine Frage: Hallo. Ich benötige Hilfe. Ich kann mit dem Begriff Erzählstrategie zwar etwas anfangen, weiß aber absolut nicht wie ich es auf diesen Textauszug übertragen soll.
Die Aufgabe lautet: Erschließen Sie die Erzählstrategie.
Heinrich Mann: Der Untertan. Roman
[...]Am Sonntag, wie er bei Göppels klingelte, machte Agnes selbst ihm auf. ?Das Mädchen kann nicht vom Herd fort?, sagte sie; aber den wahren Grund sagte ihr Blick. Aus Ratlosigkeit senkte Diederich die Augen auf das silberne Armband, womit sie klapperte, als sollte er hinsehen. ?Kennst du es nicht?? flüsterte Agnes. Er ward rot. ?Das von Mahlmann?? ?Das von dir! Ich trag? es zum erstenmal.? Rasch und heiß drückte sie ihm die Hand, dann ging die Tür zum Berliner Zimmer auf. Herr Göppel wandte sich um. ?Na, da ist wohl unser Ausreißer?? Aber kaum erblickte er Diederich, änderte sich seine Miene, er bereute seine Vertraulichkeit. ?Ich hätte Sie, weiß Gott, nicht wiedererkannt, Herr Heßling!? Diederich sah zu Agnes hinüber, wie um ihr zu sagen: ?Siehst du? Der merkt es, daß ich kein dummer Junge mehr bin.? ?Bei Ihnen ist ja alles unverändert?, stellte Diederich fest und begrüßte Herrn Göppels Schwestern und Schwager. In Wahrheit aber fand er alle beträchtlich gealtert, besonders Herrn Göppel, der sich weniger munter benahm und dem ein kummervolles Fett von den Wangen hing. Die Kinder waren nun größer, und irgendwo im Zimmer schien eine Person zu fehlen. ?Ja, ja,? so schloß Herr Göppel die einleitende Unterhaltung, ?die Zeit vergeht, aber gute Freunde finden sich immer wieder.? ?Wenn du wüßtest, wie?, dachte Diederich verlegen und mit Geringschätzung, indes man zu Tisch ging. Beim Kalbsbraten fiel ihm endlich ein, wer damals ihm gegenüber gesessen hatte. Es war die Tante, die ihn so hochtrabend gefragt hatte, was er denn studiere, und die nicht gewußt hatte, daß Chemie etwas anderes war als Physik. Agnes, die er zu seiner Rechten hatte, erklärte ihm, daß diese Tante schon seit zwei Jahren tot sei. Diederich murmelte sein Beileid, im stillen aber sagte er sich: ?Die quatscht also auch nicht mehr.? Ihm kam es vor, als ob hier alle bestraft und niedergedrückt seien, ihn selbst nur hatte das Schicksal, seinem Wert entsprechend, erhöht. Und er streifte Agnes, von oben herab, mit dem Blick des Besitzers. Die süße Speise ließ auf sich warten, gerade wie damals. Agnes wandte unruhig den Kopf nach der Tür, Diederich sah ihre schönen blonden Augen verdunkelt, als sei etwas Ernstes geschehen. Er hatte plötzlich tiefes Mitgefühl mit ihr, eine große Zärtlichkeit. Er stand auf und rief aus der Tür: ?Marie! Der Krehm!? Wie er zurückkam, trank Herr Göppel ihm zu. ?Das haben Sie früher auch schon gemacht. Sie sind doch hier wie?s Kind im Hause. Nicht, Agnes?? Agnes dankte Diederich mit einem Blick, der sein ganzes Herz aufrührte. Er mußte sich zusammennehmen, um nicht feuchte Augen zu bekommen. Wie wohlwollend die Verwandten ihm zulächelten! Der Schwager stieß mit ihm an. Was für gute Menschen! Und Agnes, die süße Agnes, liebte ihn! Er verdiente so viel nicht! Das Gewissen schlug ihm laut, er nahm sich dunkel vor, nachher mit Herrn Göppel zu sprechen [...] Er ließ von seiner strammen Haltung einiges nach, es war noch sehr gemütlich. Herr Göppel wollte wissen, wann Diederich ?fertig? werde und Doktor sei, er begriff nicht, daß eine chemische Arbeit zwei Jahre und länger brauche. Diederich verbreitete sich in Ausdrücken, die niemand verstand, über die Schwierigkeiten, zu einer Lösung zu gelangen. Er hatte die Empfindung, Herr Göppel warte zu einem bestimmten Zweck auf seine Promovierung. Auch Agnes schien es zu fühlen, denn sie griff ein und lenkte das Gespräch ab. Als Diederich sich verabschiedet hatte, ging sie mit hinaus und flüsterte ihm zu: ?Morgen um drei bei dir.? Vor jäher Freude griff er nach ihr und küßte sie, zwischen den Türen, während gleich daneben das Mädchen mit dem Geschirr rasselte. Sie fragte traurig: ?Denkst du denn gar nicht daran, was mir passiert, wenn jetzt jemand kommt?? Er war betroffen und verlangte als Zeichen ihrer Verzeihung noch einen Kuß. Sie gab ihn. Um drei Uhr pflegte Diederich aus dem Café ins Laboratorium zurückzukehren. Statt dessen war er schon um zwei Uhr wieder in seinem Zimmer. Richtig kam sie noch vor drei. ?Wir haben es beide nicht erwarten können! Wie wir uns liebhaben!? Es war schöner als das erstemal, viel schöner. Keine Träne mehr, keine Furcht; und die Sonne schien herein. Diederich breitete Agnes? Haar in der Sonne aus und badete sein Gesicht darin. Sie blieb, bis es fast schon zu spät war, die Einkäufe zu machen, die sie zu Hause vorgeschützt hatte. Sie mußte laufen. Diederich, der mitlief, war sehr besorgt, daß es ihr schaden könne. Aber sie lachte, sah rosig aus und nannte ihn ihren Bären. Immer endeten nun so die Tage, an denen sie kam. Immer waren sie glücklich. Herr Göppel stellte fest, daß es Agnes besser gehe als je, und das verjüngte ihn selbst. Daher wurden auch die Sonntage jedesmal heiterer. Es dauerte bis abends, dann ward Punsch gemacht, Diederich mußte Schubert spielen, oder er und der Schwager sangen Burschenlieder und Agnes begleitete sie. Manchmal sahen sie sich nacheinander um, beiden war zumut, als werde ihr Glück gefeiert. Es kam vor, daß im Laboratorium der Diener zu Diederich hintrat und ihm meldete, draußen sei eine Dame. Er stand sofort auf, stolz errötend unter den verständnisvollen Blicken der Kollegen. Und dann bummelten sie, gingen ins Café, ins Panoptikum; und da Agnes gern Bilder sah, erfuhr Diederich auch, daß es Kunstausstellungen gab. Agnes liebte es, vor einem Bild, das ihr gefiel, einer sanften, festtägigen Landschaft aus schöneren Ländern, lange stehenzubleiben, mit halbgeschlossenen Augen, und Träume auszutauschen mit Diederich. ?Sieh nur recht hin, dann merkst du, das ist kein Rahmen, es ist ein Tor mit goldenen Stufen, die gehen wir hinunter und über den Weg, und biegen die Weißdornbüsche weg und steigen in den Kahn. Fühlst du wohl, wie er schaukelt? Das kommt, weil wir die Hand durch das Wasser schleifen, es ist so warm. Drüben am Berg, der weiße Punkt, du weißt schon, es ist unser Haus, dahin fahren wir. Siehst du, siehst du?? ?Ja, ja?, sagte Diederich voll Eifer. Er kniff die Lider ein und sah alles, was Agnes wollte. Er geriet so sehr in Feuer, daß er ihre Hand nahm, um sie zu trocknen. Dann setzten sie sich in einen Winkel und sprachen von den Reisen, die sie machen wollten, dem sorgenlosen Glück in sonniger Ferne, von Liebe ohne Ende. Diederich glaubte, was er sagte. Im Grunde wußte er wohl, daß er bestimmt sei, zu arbeiten und ein praktisches Leben zu führen, ohne viel Muße für Überschwenglichkeiten. Aber was er hier sagte, war von einer höheren Wahrheit als alles, was er wußte. Der eigentliche Diederich, der, der er hätte sein sollen, sprach wahr. ? Aber Agnes: wie sie nun aufstanden und gingen, war sie blaß und schien müde. Ihre schönen blonden Augen hatten einen Glanz, der Diederich beklommen machte, und sie fragte leise und zitternd: ?Wenn unser Kahn nun umgeschlagen wäre?? ?Dann hätte ich dich gerettet!? sagte Diederich entschlossen. ?Aber es ist weit vom Ufer, und das Wasser ist schrecklich tief.? Da er ratlos war: ?Wir hätten ertrinken müssen. Sag?, wärst du gern mit mir gestorben?? Diederich sah sie an; dann schloß er die Augen. ?Ja?, sagte er mit einem Seufzer. [...]
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