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frosh
BeitragVerfasst am: 09. Sep 2014 12:41    Titel: Re: Woyzeck & Kabale und Liebe

Ahoi

Bezüglich Woyzeck schneide ich mal ein paar Quellen zusammen, die das Ganze recht gut darstellen. Es wird auch noch etwas zu Büchner und den Hintergründen gesagt. Auch wenn es also nicht immer direkt um den Text geht, hilft das m.E., Woyzeck greifbarer zu machen.
Wenn du dir die Quellen durchliest, hast schon einen sehr guten Überblick.

....rückte Büchner mit dem Soldaten Woyzeck, der im Zustand physischer wie psychischer Zerrüttung seine Geliebte ersticht, einen 'Massencharakter' ins Zentrum seiner Dichtung....
[Woyzeck] repräsentiert jene erbärmliche Wirklichkeit, von der Camille Desmoulins sagt, dass das Theaterpublikum weder Augen noch Ohren dafür habe.
Büchner war da anderer Ansicht. "Man versuche es einmal und senke sich in das Leben des Geringsten und gebe es wieder, in den Zuckungen, den Andeutungen, dem ganzen feinen, kaum merkbaren Mienenspiel....."

Die düstere Massenarmut, die zum 19.Jahrhundert ebenso gehört wie Dampfmaschine und Eisenbahn....ist Fundament und tragischer Grund des Woyzeck. In jeder Szene ist Woyzecks soziale Notlage gegenwärtig und greifbar: in den wenigen Habseligkeiten, die er kurz vor der Tat an seinen Stuben- und Bettgenossen Andres verschenkt, ebenso wie in der Möbilierung von Maries Wohnung....
Über dem Stück liegt eine dumpfe soziale Werktagsatmosphäre. In der Darstellung von Armut und endfremdeter, körperlicher Arbeit gelangt auf eine Stufe der Konkretion, wie sie im Drama erst Jahrzehnte später wieder erreicht wurde. Der Arbeitsalltag im Zeitalter der Frühindustralisierung hatte eben erst Eingang in die erzählende Literatur gefunden.
War schon die Stoffwahl revolutionär, so gilt das erst recht für den Verzicht auf die übliche Tragödiensprache....

[Büchner] wusste, dass das Schicksal des einzelnen in erheblichem Maße sozial determiniert war....
Solidarisches Empfinden mit dem von materiellen Bedürfnissen gequälten sein bestimmte auch Büchners politische Praxis.
Am 1.Januar 1836 schrieb er aus Straßburg an die Familie:
"Ich komme vom Christkindelsmarkt, überall Haufen zerlumpter, frierender Kinder, die mit aufgerissenen Augen und traurigen Gesichtern vor den Herrlichkeiten aus Wasser und Mehl...standen. Der Gedanke, dass für die meisten Menschen auch die armseligsten Genüsse und Freuden unererreichbare Kostbarkeiten sind, macht mich sehr bitter."

Büchners Woyzeck kompensiert seine soziale Notlage mit Arbeit rund um die Uhr, hetzt von einem Erwerb zum anderen. Vor allem aber fügt Büchner der Dauerbelastung des entwürdigenden und aufreibenden Soldatenalltags den Menschenversuch hinzu, lässt Woyzeck aus Not zum Objekt der medizinischen Wissenschaft werden. Was ihn und seine Familie am Leben erhalten soll, ruiniert ihn gleichzeitig.

auf Grund seiner....Erbsendiät...und in Verbindung mit der alltäglichen Arbeitshetze eine rationale Begründung: Dem Druck der Umstände, denen er durch die Dürftigkeit seiner Existenz unweigerlich ausgeliefert ist, muss Woyzeck schließlich erliegen. Der Schock, den ihm die Untreue seiner Geliebten versetzt, stößt ihn über eine Grenzlinie, der Damm der Bewußtseinskontrolle bricht.


Nochmal aus einer anderen Quelle:

Im Woyzeck ist auch diese, dem Menschen nun einmal mögliche Nähe und Verbrüderung kaum noch da; die Umwelt Woyzecks bietet ihm nur zynische Gleichgültigkeit oder besorgte Verständnislosigkeit.
...was Woyzeck als soziales Milieu umgibt, ist die unterste Hölle...; Woyzeck ist in seinem Tasten nach der Wahrheit über sich und sein Schicksal eisig allein...
...[eine Hölle vor der man sich kaum fürchten braucht], eine wo man schon immer gewesen; wenn nach Woyzecks Worten, es für seinesgleichen einen Himmel gäbe, dann gleiche er der Hölle, und beide der alltäglichen Wirklichkeit: 'Wir arme Leut...wenn wir in [den] Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen'

...erst mit Woyzeck erscheint die Gesellschaft handgreiflich, als aufgebaut auf Macht und Besitz, erkannbar an der Schichtung in Klassen, in Ober- und Unterschicht.
Als zu einer niedrigen sozialen Schicht gehörend ist der Soldat Woyzeck von jener Schicht abhängig, die im Drama der Hauptmann und der Doktor vertreten. Beiden gemeinsam ist die bestenfalls gutmütig-herablassende Haltung Woyzeck gegenüber; eine Haltung über die sich Büchner in dem Giessener Brief an die Eltern deutlich geäußert ...und gebrandmarkt hat: "Es ist derer eine grosse Zahl, die, im Besitz einer lächerlichen Äusserlichkeit, die man Bildung, oder eines toten Krams, den man Gelehrsamkeit heisst, die grosse Masse ihrer Brüder ihrem verachtenden Egoismus opfern."





emmaserena hat Folgendes geschrieben:
"Alle Prosaliteratur ist immer auch eine Kritik an der Gesellschaft.

Mag oftmals zutreffen, aber ich würde nicht sagen, dass immer eine Gesellschaftskritik vorhanden sein muss.
Gibt doch auch prosaische Literatur, die überhaupt keine Gesellschaftskritik äußert.


Grüße
emmaserena
BeitragVerfasst am: 08. Sep 2014 16:40    Titel: Woyzeck & Kabale und Liebe

Meine Frage:
"Alle Prosaliteratur ist immer auch eine Kritik an der Gesellschaft. Wie kommt das in den Werken Woyzeck und Kabale und Liebe zum Ausdruck und welche Bedeutung hat dies für die jeweiligen Werke"?
Nun sehe ich aber in Woyzeck keine Kritik an der Gesellschaft. Inwiefern sind diese zwei Werke Gesellschaftskritisch?
Kann mir da jemand helfen?


Meine Ideen:
Bei Kabale und Liebe geht es sicherlich um die Ständegesellschaft, aber ist das wirklich alles?
Bei woyzeck bin ich da leider ganz auf dem Holzweg.

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