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Mängelwesen mensch
 
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Isabell
Gast





BeitragVerfasst am: 12. März 2006 15:29    Titel: Mängelwesen mensch Antworten mit Zitat

Hallo, hier ist ein Text. wir sollten diesen text kommentieren also zusammenfassen. Mein Lehrer meinte nur, dass es zu kompliziert erläutert wurde. Kann mir jemand helfen. (weiter unten ist mein Kommentar)
Text :
Arnold Gehlen: Mängelwesen Mensch

1.Morphologisch ist nämlich der Mensch im Gegensatz zu allen höheren Säugern hauptsächlich durch Mängel bestimmt, die jeweils im exakt biologischen Sinne als Unangepaßtheiten, Unspezialisiertheiten, als Primitivismen, d.h. als Unentwickeltes zu bezeichnen sind: also wesentlich negativ. Es fehlt das Haarkleid und damit der natürliche Witterungsschutz; es fehlen natürliche Angriffsorgane, aber auch eine zur Flucht geeignete Körperbildung; der Mensch wird von den meisten Tieren an Schärfe der Sinne übertroffen, er hat einen geradezu lebensgefährlichen Mangel an echten Instinkten, und er unterliegt während der ganzen Säuglings- und Kinderzeit einer ganz unvergleichlich langfristigen Schutzbedürftigkeit. Mit anderen Worten: innerhalb natürlicher, urwüchsiger Bedingungen würde er als bodenlebend inmitten der gewandtesten Fluchttiere und der gefährlichsten Raubtiere schon längst ausgerottet sein.
2. Die Tendenz der Naturentwicklung geht nämlich dahin, organisch hochspezialisierte Formen in ihre je ganz bestimmten Umwelten einzupassen, also die unübersehbar mannigfaltigen in der Natur zustande kommenden »Milieus« als Lebensräume für darin eingepaßte Lebewesen auszunutzen. Die flachen Ränder tropischer Gewässer wie die ozeanische Tiefsee, die kahlen Abhänge nördlicher Alpengebirge wie das Unterholz lichter Mischwälder sind ebenso spezifische Umwelten für spezialisierte, nur darin lebensfähige Tiere, wie die Haut der Warmblüter für die Parasiten, und so in unzähligen, je besonderen Fällen. Der Mensch dagegen hat, morphologisch gesehen, so gut wie keine Spezialisierungen. Er besteht aus einer Reihe von Unspezialisiertheiten, die unter entwicklungsbiologischem Gesichtspunkt als Primitivismen erscheinen: sein Gebiß z. B. hat eine primitive Lückenlosigkeit und eine Unbestimmtheit der Struktur, die es weder zu einem Pflanzenfresser- noch zu einem Fleischfressergebiß, d.h. Raubtiergebiß machen. Gegenüber den Großaffen, die hochspezialisierte Baumtiere mit überentwickelten Armen für Hangelkletterei sind, die Kletterfuß, Haarkleid und gewaltigen Eckzahn haben, ist der Mensch als Naturwesen gesehen hoffnungslos unangepaßt. Er ist von einer einzigartigen, [. . .] biologischen Mittellosigkeit, und er vergütet diesen Mangel allein durch seine Arbeitsfähigkeit oder Handlungsgabe, d.h. durch Hände und Intelligenz; eben deshalb ist er aufgerichtet, »umsichtig«. mit freigelegten Händen. [....]
3. Die Resultate der neueren Biologie geben uns die Möglichkeit, die exponierte und riskierte Konstitution des Menschen in einen weiteren Zusammenhang zu stellen. Die »Umwelt« der meisten Tiere, und gerade der höheren Säuger ist das nicht auswechselbare Milieu, an das der spezialisierte Organbau des Tieres angepaßt ist, innerhalb dessen wieder die ebenso artspezifischen, angeborenen Instinktbewegungen arbeiten. Spezialisierter Organbau und Umwelt sind also Begriffe, die sich gegenseitig voraussetzen. Wenn nun der Mensch Welt hat, nämlich eine deutliche Nichteingegrenztheit des Wahrnehmbaren auf die Bedingungen des biologischen Sichhaltens, so bedeutet auch dies zunächst eine negative Tatsache. Der Mensch ist weltoffen heißt: er entbehrt der tierischen Einpassung in ein Ausschnitt-Milieu. Die ungemeine Reiz- oder Eindrucksoffenheit gegenüber Wahrnehmungen, die keine angeborene Signalfunktion haben, stellt zweifellos eine erhebliche Belastung dar, die in sehr besonderen Akten bewältigt werden muß. Die physische Unspezialisiertheit des Menschen, seine organische Mittellosigkeit sowie der erstaunliche Mangel an echten Instinkten bilden also unter sich einen Zusammenhang, zu dem die »Weltoffenheit« (M. Scheler) oder, was dasselbe ist, die Umweltenthebung den Gegenbegriff bilden. Umgekehrt entsprechen beim Tier die Organspezialisierung, das Instinktrepertoire und die Umweltfesselung einander. Es ist das anthropologisch entscheidend wichtig. Wir haben damit einen Strukturbegriff des Menschen, der nicht auf dem Merkmal des Verstandes, Geistes usw. allein beruht, und bewegen uns also von nun an jenseits der oben erwähnten Alternative, entweder einen nur graduellen Unterschied zwischen dem Menschen und den ihm nächststehenden Tieren annehmen, oder den Wesensunterschied bloß in den Geist setzen zu müssen. Wir haben jetzt dagegen den »Entwurf« eines organisch mangelhaften, deswegen weltoffenen, d.h. in keinem bestimmten Ausschnitt-Milieu natürlich lebensfähigen Wesens, und verstehen jetzt auch, was es mit den Bestimmungen auf sich hat, der Mensch sei »nicht festgestellte oder »sich selbst noch Aufgabe«: Es muß die bloße Existenzfähigkeit eines solchen Wesens fraglich sein, und die bare Lebensfristung ein Problem, das zu lösen der Mensch allein auf sich selbst gestellt ist, und wozu er die Möglichkeiten aus sich selbst herauszuholen hat. Das wäre also das handelnde Wesen. Da der Mensch lebensfähig ist, müssen die Bedingungen zur Lösung dieses Problems in ihm liegen, und wenn bei ihm schon die Existenz eine Aufgabe und schwierige Leistung ist, so muß diese Leistung durch die gesamte Struktur des Menschen hindurch nachweisbar sein. Alle seine besonderen menschlichen Fähigkeiten sind auf die Frage zu beziehen: Wie ist ein so monströses Wesen lebensfähig, und damit ist das Recht der biologischen Fragestellung gesichert. Eine biologische Betrachtung des Menschen besteht also nicht darin, seine Physis mit der des Schimpansen zu vergleichen, sondern besteht in der Beantwortung der Frage: wie ist dieses mit jedem Tier wesentlich unvergleichbare Wesen lebensfähig?
4. Denn schon die Weltoffenheit ist, von daher gesehen, grundsätzlich eine Belastung. Der Mensch unterliegt einer durchaus untierischen Reizüberflutung, der unzweckmäßigen Fülle einströmender Eindrücke, die er irgendwie zu bewältigen hat. Ihm steht nicht eine Umwelt instinktiv nahegebrachter Bedeutungsverteilung gegenüber, sondern eine Welt - richtig negativ ausgedrückt: ein Überraschungsfeld unvorhersehbarer Struktur, das erst in »Vorsicht« und »Vorsehung« durchgearbeitet, d.h. erfahren werden muß. Schon hier liegt eine Aufgabe physischer und lebenswichtiger Dringlichkeit: aus eigenen Mitteln und eigentätig muß der Mensch sich entlasten, d.h. die Mängelbedingungen seiner Existenz eigentätig in Chancen seiner Lebensfristung umarbeiten. [. . .]
5. Infolge seiner organischen Primitivität und Mittellosigkeit ist der Mensch in jeder wirklich natürlichen und urwüchsigen Natursphäre lebensunfähig. Er hat also den Ausfall der ihm organisch versagten Mittel selbst einzuholen, und dies geschieht, indem er die Welt tätig ins Lebensdienliche umarbeitet. Er muß die ihm organisch versagten Schutz- und Angriffswaffen ebenso wie seine in keiner Weise natürlich zu Gebote stehende Nahrung sich selbst »präparieren«, muß zu diesem Zweck Sacherfahrungen machen und Techniken der objektiven, sachentsprechenden Behandlung entwickeln. Er muß für Witterungsschutz sorgen, seine abnorm lange unentwickelten Kinder ernähren und großziehen und bedarf schon aus dieser elementaren Nötigung heraus der Zusammenarbeit, also der Verständigung. Der Mensch ist, um existenzfähig zu sein, auf Umschaffung und Bewältigung der Natur hin gebaut, und deswegen auch auf die Möglichkeit der Erfahrung der Welt hin: er ist handelndes Wesen, weil er unspezialisiert ist, und also der natürlich angepaßten Umwelt entbehrt. Der Inbegriff der von ihm ins Lebensdienliche umgearbeiteten Natur heißt Kultur, und die Kulturwelt ist die menschliche Welt. Es gibt für ihn keine Existenzmöglichkeit in der unveränderten, in der nicht »entgifteten« Natur, und es gibt keinen »Naturmenschen« im strengen Sinne: d.h. keine menschliche Gesellschaft ohne Waffen, ohne Feuer, ohne präparierte und künstliche Nahrung, ohne Obdach und ohne Formen der hergestellten Kooperation. Die Kultur ist also die »zweite Natur« - will sagen: die menschliche, die selbsttätig bearbeitete, innerhalb deren er allein leben kann - und die »unnatürliche« Kultur ist die Auswirkung eines einmaligen, selbst »unnatürlichen«, d.h. im Gegensatz zum Tier konstruierten Wesens in der Welt. An genau der Stelle, wo beim Tier die »Umwelt« steht, steht daher beim Menschen die Kulturwelt, d.h. der Ausschnitt der von ihm bewältigten und zu Lebenshilfen umgeschaffenen Natur. Schon deswegen ist es grundfalsch, von einer Umwelt des Menschen - im biologisch definierten Sinne - zu reden. Beim Menschen entspricht der Unspezialisiertheit seines Baues die Weltoffenheit, und der Mittellosigkeit seiner Physis die von ihm selbst geschaffene »zweite Natur«. Hierin liegt übrigens der Grund, warum der Mensch im Gegensatz zu fast allen Tierarten nicht geographisch natürliche und unüberschreitbare Daseinsbereiche hat. Fast jede Tierart ist eingepaßt in ihr klimatisch, ökologisch usw. konstantes »Milieu«, der Mensch allein überall auf der Erde lebensfähig, unter dem Pol und dem Äquator, auf dem Wasser und auf dem Lande, in Wald, Sumpf, Gebirge und Steppe. Er ist dann lebensfähig, wenn er dort Möglichkeiten erzeugen kann, sich eine zweite Natur zurechtzumachen. in der er dann statt in der »Natur« existiert.


Textkommentar von mir

Der Text entstammt Gehlens anthropologischem Hauptwerk "Der Mensch. Seine Natur und Stellung in der Welt." In ihm versucht er ein Dilemma zu lösen, das seiner Auffassung nach die bisherigen Ansätze philosophischer Anthropologie prägt: sie teilen den Menschen in 2 Hälften, in Körper und Geist, Leib und Seele, deren Zusammenwirken sie dann nicht erklären können. Solchen Dualismus möchte Gehlen vermeiden, indem er nachweist, wie der Mensch schon von seiner biologischen Konstitution her auf Geistiges, auf Verstandestätigkeit hin angelegt ist. Die Sonderstellung des Menschen ist für Gehlen nicht erst im zufälligen Hinzukommen geistiger Fähigkeiten gegeben, sondern bereits durch die auf den Geist hin disponierte Körperlichkeit angelegt, deren organische Mängel er betont. Sein Konzept vom Mängelwesen Mensch kann als Versuch verstanden werden, den Menschen über seine exponierte Stellung in der Natur aufzuklären, ihm die Illusion zu nehmen, er sei die Krone der Evolutionsentwicklung, das von Mutter Natur am besten versorgte Kind. Steht Gehlen damit in der Tradition des Illusionszerstörers Nietzsche, dessen Formel, der Mensch sei das nicht festgestellte Tier, er gerne zitiert, so geht der Terminus "Mängelwesen" auf Herder zurück, wie Gehlen selber betont. Gilt der erste Teil seines Buches "Der Mensch" der morphologischen Sonderstellung des Menschen, so entfaltet der zweite eine komplizierte Theorie des Zusammenhangs zwischen Wahrnehmung, Bewegungsmöglichkeiten und der Entstehung der Sprache, wahrend der dritte das menschliche Antriebsleben charakterisiert und die Begriffe "Charakter" und "Geist" erörtert. Dabei behandelt Gehlen das Problem, daß sich kulturelle Institutionen wie Religion und Recht nicht als bewußte Schöpfungen erklären lassen, die einen bestimmten Zweck verfolgen. Im Gegenteil: daß ein religiöser Glaube die Funktion haben kann, die eigene Furcht vor dem Numinosen zu dämpfen und eine soziale Gemeinschaft zu gründen, ist eine Einsicht in eine Zweckmäßigkeit, die erst nach dem Verlust der Glaubensselbstverständlichkeit möglich wird. Hier zeigt sich ein Phänomen, das Gehlen als "objektive sekundäre Zweckmäßigkeit" bezeichnet und als Auswirkung eines "ideativen Bewußtseins" beschreibt. Damit gerät seine Theorie am Ende in einen Zwiespalt: auf der einen Seite ist der Mensch als Mängelwesen in besonderem Maße von seiner Fähigkeit zu handeln, d.h. zu zweckgerichtetem Tun abhängig, auf der anderen Seite bedarf er der zusätzlichen Gabe eines ideativen Bewußtseins, gewissermaßen einer tieferen Weisheit der Natur. (Dieses Problem gerät aber in den ausgewählten Auszügen nicht in den Blick.)
Der vorliegende Text bietet in den beiden Anfangsabschnitten einen Vergleich zwischen dem Menschen und v.a. den höheren Säugetieren. Dabei stellt Gehlen eine mangelhafte biologische Ausstattung fest.
Es fehlen dem Menschen:
1. ein Haarkleid,
2. Angriffs- bzw. Fluchtorgane,
3. Sinnesschärfe,
4. echte Instinkte,
5. schnelle Entwicklung zur Selbständigkeit,
6. ein spezialisiertes Gebiß
7. Spezialisierungen von Armen und Beinen.
All diese Mängel, die Gehlen auch "Unspezialisiertheiten", "Primitivismen" nennt, weil er davon ausgeht, daß die Naturentwicklung dahin zielt, "organisch hochspezialisierte Formen in ihre je ganz bestimmten Umwelten einzupassen" hatten längst zur Ausrottung des Menschen geführt, wenn er auf eine natürliche Umgebung angewiesen wäre. Gehlen zeigt damit pointiert, daß wir gerade auch von unseren nächsten "Verwandten", den Affen, wesentlich verschieden sind. Kurz erwähnt finden sich die Möglichkeiten, die der Mensch hat, durch aufrechten Gang und Intelligenz. Die Betonung liegt aber auch weiterhin auf der Riskiertheit seiner Konstitution. Im nächsten Abschnitt entwickelt Gehlen den entscheidenden Zusammenhang: es entsprechen sich beim Menschen Instinktreduktion, organische Unspezialisiertheit und Weltoffenheit (wie beim Tier Instinkte, Organspezialisierungen und Anpassung an eine bestimmte, unüberschreitbare Umwelt). Wie sehr diese Faktoren den Menschen belasten, führt Gehlen in den letzten beiden Abschnitten aus, wobei er auf die Instinktreduktion nicht mehr besonders eingeht. Aus der organischen Unspezialisiertheit folgt die Notwendigkeit der Naturbearbeitung, aus der Weltoffenheit und der damit verknüpften Reizüberflutung die Notwendigkeit der Entlastung. Zu ergänzen Ware, daß die Instinktreduktion eine Verhaltenslenkung (Normen) nötig macht. Den drei Riskiertheiten, die natürlich nicht zusammenhanglos zu sehen sind, entsprechen also drei Kulturleistungen, die Gehlens Text allerdings nicht differenziert, da es ihm in den Schlußpassagen mehr auf die Notwendigkeit von Kultur generell ankommt - und auf die Abwehr der Vorstellung vom Naturmenschen, denn der Mensch ist von Natur aus ein Kulturwesen, wie Gehlen gern formuliert. Bei der genannten Trias von Mängeln und dazugehörigen Kulturleistungen bleibt die Vorstellung von der Entlastung der Reizüberflutung noch vage. Hier gilt es, Beispiele heranzuziehen, die Gehlen anderweitig gibt. So verweist er z.B. darauf, daß der Mensch die Sterne sehen kann, was für ihn biologisch unzweckmäßig ist und nur Unsicherheit produziert. Eine Kultur muß hier Deutungen anbieten, um den einzelnen zu entlasten; für einen bestimmten Indianerstamm sind die Sterne die Lagerfeuer der Verstorbenen - und damit in ein erklärbares Weltbild integriert.
Gast






BeitragVerfasst am: 14. März 2006 22:27    Titel: Antworten mit Zitat

Zur Diskussion - diese Arbeit!

Autor: Dany Ringhand
http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/phg/8700.html

Thema: Mängelwesen (Arnold Gehlen - Philosophische Anthropologie)

Gliederung:
1 Einleitung
2 Gehlens Anthropologie
3 Die Unzutreffentheit des Begriffs "Mängelwesen"
4 Zusammenfassung
5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung
Gehlens Buch "Der Mensch" ist eine der wichtigsten Schriften der
philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts. Die deutsche
Philosophische Anthropologie, zu der auch Gehlen gehört, versucht das
übergreifend Universale des Menschen zu ergründen. In seinem Buch verwendet Gehlen den Terminus "Mängelwesen " und meint damit den Menschen. Die Gehlensche These besagt, dass "der Mensch aufgrund seiner im Vergleich zum Tier mangelhaften Organ - und Instinktausstattung in seiner Existenz bedroht ist (Schülerduden). Ich werde im 3. Abschnitt zeigen, dass der Begriff "Mängelwesen" für den Menschen nicht zutreffend ist.

2 Gehlens Anthropologie
Als Gehlens Hauptwerk gilt das 1940 erschienene Buch "Der Mensch - Seine Natur und seine Stellung in der Welt". Die hier dargestellte Anthropologie versucht, den Menschen aus sich selbst abzuleiten und zu deuten. Das bedeutet, dass Gehlen außermenschliche Bereiche wie die Schöpfung und Abstammungslehre ausklammert. Eine biologische Betrachtung lehnt Gehlen ab.
Diese kann die unbestrittene Sonderstellung des Menschen gegenüber dem Tier nicht erklären. Es fehlen eindeutige Abgrenzungskriterien, wenn der Blick nur auf Einzelmerkmale wie Körperbau und Kommunikation gerichtet ist. Für Gehlen ist der Mensch das "noch nicht festgestellte Tier, er ist irgendwie nicht festgerückt"(Gehlen 1997, S. 16). Die Natur hat dem Menschen eine Sonderstellung zugewiesen und "es ist schon für ihn eine beträchtliche Leistung, nächstes Jahr noch zu leben. Er ist nicht festgerückt heißt: er verfügt noch über seine eigenen Anlagen und Gaben, um zu existieren; er lebt nicht, wie ich zu sagen pflege, er führt sein Leben" (Gehlen 1997, S. 17).
In dieser biologischen Unangepasstheit, Unspezialisiertheit, erscheint der
Mensch als "Mängelwesen". Wie sich so ein schutzloses, bedürftiges und
exponiertes Wesen überhaupt halten kann, führt zu folgender Antwort
Gehlens:" Wir wollen ein System einleuchtender, wechselseitiger Beziehungen aller wesentlichen Merkmale des Menschen herstellen, vom aufrechten Gang bis zur Moral, sozusagen, denn alle Merkmale bilden ein System, in dem sie sich gegenseitig voraussetzen: ein Fehler, eine Abweichung würde das Ganze lebensunfähig machen" (Gehlen 1997, S. 17). Der Mensch ist ein handelndes Wesen in Gehlens Anthropologie. Er ist unfertig und bedarf der Zucht in Form von Selbstzucht und Erziehung. Gehlen schreibt auf Seite 32:"...er ist ein Wesen der Zucht: Selbstzucht, Erziehung , Züchtung gehört zu den Existenzbedingungen eines nicht festgestellten Wesens". Der Mensch ist für Gehlen weltoffen, aufgrund von Reizen und Eindrücken, die eine Belastung darstellen. Dieser Belastung steht das Entlastungsprinzip gegenüber: "aus eigenen Mitteln und eigentätig muß der Mensch sich entlasten"(Gelhen 1997, S. 36). Der Mensch kann der reizüberflutung entgehen; er zieht sich zurück.
Ein Tier kann das nicht. Gelhen setzt also das Überleben des Menschn in
Szene. Die Menschwerdung ist für ihn eine große Leistung, im Gegensatz zu den Überlebenschancen. "Da die menschliche Spezies unspezialisiert ist, sichert sie ihr Überleben aufgrund ihrer Fähigkeit zum Handeln" (Pieper 1998, S.22).

3 Die Unzutreffendheit des Begriffs "Mängelwesen"

Im 3. Abschnitt werde ich Argumente gegen die Bezeichung "Mängelwesen" vorstellen. Beginnen will ich mit einer kritischen Betrachtung der Anthropologie Gehlens. Gehlens Ansatz berücksichtigt kaum, dass der Mensch nicht allein ist, sondern mit anderen Menschen aufwächst. In diesem Gebilde von Menschen erwirbt der Mensch Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen. Wichtig ist der "Körper mit seiner spezifischen Form" (Pieper 1998, S. 25). Aber das ist noch nicht alles; sie ist fähig, Erfahrungen des Weltumgangs abzulagern, Werkzeuge zu formen und eine neue und höhere Form des Sprachlichen anzulegen. Im biologischen Bereich lassen sich auch Argumente finden. Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden, sind schon im Erbgang genetisch festgelegt. Der Mensch lernt stündlich neues hinzu. Die Spracher wieder ermöglicht den Austausch menschlicher Erfahrungen von Individuum zu Individuum. Beim Tier ist das nicht nötig. "Das durch Instinktordnung geregelte Sozialleben überwiegt"(Roth 1966, S. 131).
Gehlen sieht das folgendermaßen; weil der Mensch kein Instinkt hat, hat er das Denken nötig. Roth (1966, S. !49) meint: "Weil der Mensch das Denken hat, hat er keinen Instinkt nötig". Das Denken ist eine wichtige Existenzform des Menschen und gehört zur Geistigkeit des Menschen. Die Religion gehört auch in diesen Bereich. Der Mensch vollzieht Bestattungsriten, kennt Götter. Die Religion kann dem Menschen bei seiner Weltdeutung behilflich sein. Es gibt keinen Menschen, der ohne Weltdeutung leben kann, sei dies auch noch so primitiv.

4 Zusammenfassung
Gehlen greift bei seiner Betrachtung einzelne Details heraus. Der Mensch ist unangepasst und unspezialisiert. Auch seine im Vergleich
zum Tier zweifellos vorhandene Instinktreduzierung rechtfertigt trotzdem
nicht die Bezeichnung "Mängelwesen". Die Sprache und das Denken kennzeichnen den Menschen. Sie sind Basiskomponenten und stehen gegen diesen Terminus.
Selbst die Religion spricht dagegen. Sie ist ein einmaliger Bereich des
Menschen. Im Schöpfungsakt geht der Mensch als Krönung hervor und verdient nicht die Bezeichnung und kann kein "Mängelwesen" sein.
(…)
*
Kann man bei der Adresse o. kaufen und bezahlen.
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