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Kafka/ "Im Dom"
 
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Gast






BeitragVerfasst am: 15. Mai 2006 16:04    Titel: Kafka/ "Im Dom" Antworten mit Zitat

Hallo!!

Weiß jemand zufällig eine gute Internetadresse, wo man Interpretationen u.ä. zu Kafkas "Der Prozess", speziell zum 9. Kapitel "Im Dom" finden kann?

Danke smile
Sirius



Anmeldungsdatum: 29.04.2006
Beiträge: 180
Wohnort: Erlangen

BeitragVerfasst am: 15. Mai 2006 17:50    Titel: Kafka Antworten mit Zitat

Eine fertige Interpretation zu einem Kapitel findest du wohl nicht, aber hilfreiche Hinweise zum Gesamt-Rahmen unter
www.wikipedia.de und dann unter dem Suchbegriff "Der Process".

Sirius

_________________
"So tauml' ich von Begierde zu Genuss,
Und im Genuss verschmacht' ich nach
Begierde." (Wald und Höhle)
Gast






BeitragVerfasst am: 16. Mai 2006 21:25    Titel: Antworten mit Zitat

Puh... Der Artikel auf Wikipedia ist aber wirklich miserabel. Für einen kurzen inhaltlichen Überblick brauchbar. Aber ich würde mich in Vorbereitung auf eine Klausur nicht nach den hier vorgestellten Interpreatationsansätzen orientieren.
Sirius



Anmeldungsdatum: 29.04.2006
Beiträge: 180
Wohnort: Erlangen

BeitragVerfasst am: 17. Mai 2006 09:38    Titel: Kafka Antworten mit Zitat

Sorry, aber vielleicht bringt der Artikel aus "Kindlers Literaturlexikon" mehr. Die Beiträge dort gelten ja durchaus als "Standard", sind gründlicher (und werden auch von Deutsch-Lehrern gern benutzt). Hier also der Auszug aus "Kindler":
Kafka, Franz
DER PROZEß
Roman von Franz Kafka, entstanden zwischen August 1914 und Januar 1915, erschienen 1925; herausgegeben von Max Brod. – Vom Autor selbst als »unvollendet betrachtet« (M. Brod), wurde der Roman dennoch von kaum jemand als unvollkommen empfunden. Sein Geschehen erstreckt sich vom Morgen des 30. Geburtstags Josef K.s, der Hauptfigur, bis zum Vorabend des 31., an dem er exekutiert wird. Der erste Satz des Romans formuliert im Gestus der erlebten Rede, die die Perspektive des Erzählers und der Figur vereint und auch den Leser mit einbezieht, ein Urteil über einen Vorfall nach dem Erwachen Josef K.s, das eine klassische Kriminalerzählung einleiten könnte: »Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.« Die hier geweckte Erwartung der Aufklärung eines Rechtsirrtums und der Identifizierung eines im Verborgenen wirkenden Bösen wird aber im Verlauf des Geschehens immer nachhaltiger enttäuscht. Die Verhaftung und ihre begleitenden Umstände, das Gericht und seine ausführenden Organe sowie das Gesetz, dem diese folgen, erscheinen mysteriös und bleiben unverständlich, aber auch K.s eigenes Verhalten ist rätselhaft.
Gleich nach dem Erwachen meint K. zu bemerken, daß eine ihm gegenüber wohnende Frau ihn »mit einer ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete«; als er nach dem Frühstück läutet, tritt anstelle der Köchin ein Fremder, ohne sich vorzustellen, in sein Zimmer und verweigert ihm das Frühstück nach kurzer Verständigung mit einem anderen hinter der Tür (beide erweisen sich später beiläufig als die Wächter Franz und Willem). Josef K. protestiert zwar, aber in einer Weise, daß er mit seinem Protest, wie er selbst bemerkt, »gewissermaßen ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte«. Als K. Anstalten macht, sich bei der Vermieterin Frau Grubach zu beschweren, wird ihm endlich seine Verhaftung mitgeteilt, aber so, als sei sie längst bekannt: »Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet.« Auch über »seine Sachen« scheint schon verfügt zu sein; jedenfalls wird ihm nahegelegt, im Hinblick auf die im »Depot« herrschende Korruption seine Wäsche den Wächtern anzuvertrauen. Erst als K. an einem der Wächter ein Mißverhältnis zwischen »dickem Körper« und »trockenem, knochigen Gesicht« wahrnimmt, fragt er sich: »Was waren das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat.« Für den Fall, daß es sich um einen Schabernack von Kollegen handelte, beschließt er, sich nicht »unvorsichtig« zu benehmen und die »Komödie« mitzuspielen. Über die Gründe der Verhaftung wissen die Wächter nichts. K.s Beteuerungen seiner Schuldlosigkeit werten sie aber als Schuld angesichts seiner Unkenntnis des Gesetzes.
In diesem Zusammenhang erhält er die – im Verlauf der Erzählung – einzige positive Mitteilung über den Inhalt des Gesetzes, die Aufgabe des Gerichts betreffend: Dieses sucht »nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen und muß uns Wächter ausschicken«. Wiederholt fügt sich K., »ohne es zu wollen«, den Absichten des Gerichts, überhaupt verfügt dieses, ohne sichtbare Anwendung von Gewalt, über ihn und andere. So wird etwa das Zimmer der Pensionsnachbarin Fräulein Bürstner als Verhandlungsraum benutzt. Ein »Aufseher« bestätigt ihm hier endgültig seine Verhaftung. Als dieser K.s Wunsch, sich telephonisch der rechtlichen Unterstützung eines befreundeten Staatsanwalts zu versichern, mit dem gleichzeitigen Hinweis auf die Sinnlosigkeit dieser Unternehmung stattgibt, reagiert K. ebenso empört »(Sie wollen einen Sinn und führen dieses Sinnloseste auf, das es gibt?«) wie einsichtig (»Gut, ich werde nicht telephonieren«). Schließlich wird ihm erlaubt, während der Dauer der Untersuchung sein Leben als höherer Bankangestellter weiterzuführen; beiläufig bemerkt er, daß drei untergeordnete Kollegen aus der Bank der Verhandlung beigewohnt haben.
Wenig später erhält er, ohne Angabe der Uhrzeit, eine Vorladung für den nächsten Sonntag und die Mitteilung, er müsse sich auf regelmäßige Untersuchungen einstellen. Am bezeichneten Tag verspürt er zwar »nicht die geringste Lust, sich durch allzugroße Pünktlichkeit vor der Untersuchungskommission zu erniedrigen«, beginnt allerdings zu laufen, »um nur möglichst um neun Uhr einzutreffen«. Sein dennoch verzögertes Eintreffen wird dann auch am selbstgesetzten Maßstab der Pünktlichkeit gemessen: »Sie hätten vor einer Stunde und fünf Minuten erscheinen sollen.« In einer Ansprache startet er einen Angriff auf die Behörde, bezeichnet, die Umstände seiner Verhaftung erinnernd, die Wächter als »demoralisiertes Gesindel«, die anwesenden Beamten angesichts ihres Verhaltens bei der Verhandlung als »korrupte Bande«, schließlich behauptet er als »Sinn dieser großen Organisation« die »Sinnlosigkeit«, um mit der Bemerkung: »Ihr Lumpen, ich schenke euch alle Verhöre« die Szene zu verlassen. Dies ist für Josef K. aber keineswegs der Anlaß, sich den Verfügungen der Behörde endgültig entziehen zu wollen, vielmehr wartet er während der nächsten Woche ungeduldig auf eine erneute Vorladung: »Er konnte nicht glauben, daß man seinen Verzicht auf Verhöre wörtlich genommen hatte.« So kehrt er eine Woche später unaufgefordert an den Ort des Verhörs zurück, erfährt, daß keine Verhandlung vorgesehen ist, und läßt sich, nach einer Auseinandersetzung mit der Frau des Gerichtsdieners über deren sexuelle Beziehungen zum niederen und mittleren Gerichtspersonal, vom Gerichtsdiener die auf dem Dachboden des Gebäudes gelegenen Kanzleien des Gerichts zeigen: »aus dem Verlangen festzustellen, daß das Innere dieses Gerichtswesens ebenso widerlich war wie sein Äußeres«. Sein Vorhaben gelingt. Die stickige Atmosphäre und die demütigenden Umstände, unter denen er hier Angeklagte vorfindet, bereiten ihm solche Übelkeit, daß er von Angestellten ins Freie begleitet werden muß. All dies reicht immer noch nicht aus, der Behörde die Anerkennung der Zuständigkeit für seine Person zu versagen, im Gegenteil: Auf Drängen seines um das Ansehen der Familie besorgten Onkels bestellt er einen mit diesem befreundeten Advokaten mit dem beziehungsreichen Namen Huld. Als dieser sich ohnmächtig erweist und als das »einzig Richtige« das Sich-Abfinden mit den »vorhandenen Verhältnissen« anpreist, beschließt K., »seine Verteidigung selbst in die Hand zu nehmen« und als »Verteidigungsschrift« eine »kurze Lebensbeschreibung« anzufertigen. Durch den Hinweis eines über seinen Prozeß merkwürdigerweise informierten Bankkunden lernt er einen Maler namens Titorelli kennen, der das Privileg besitzt, Richter nach nur ihm bekanntem Schema zu porträtieren. K. hofft, durch dessen Beziehungen Einsicht in sein Verfahren gewinnen zu können, erhält jedoch nur Kenntnis von dessen Ausweglosigkeit: Während von einem »wirklichen Freispruch« nur Legenden, keine Akten berichten, bedeuten die dokumentierten Möglichkeiten der »scheinbaren Freisprechung« und der »Verschleppung« gerade die Unmöglichkeit des Freispruchs.
Gemessen an traditionellen Vorstellungen von Gerechtigkeit und Anstand zeigt sich die Sphäre des Gerichts für K. als äußerst dubios. Aber auch er selbst erweist sich in seinem Verhalten keineswegs als makellos. Dies wird vor allem im Umgang mit Frauen deutlich, die ihm für seine Auseinandersetzung mit der Behörde nützlich erscheinen. So möchte er von Fräulein Bürstner eine Bestätigung seiner Schuldlosigkeit erhalten. Obgleich feststeht, daß er »kein besonderes Verlangen nach ihr« verspürt, versucht er zuletzt mit einer überfallartigen Annäherung ihre Anteilnahme an seiner Sache zu erzwingen: Er »küßte sie auf den Mund und dann über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Schließlich küßte er sie auf den Hals, wo die Gurgel ist, und dort ließ er die Lippen lange liegen.« Auch im Falle der Frau des Gerichtsdieners, die er als Objekt sexueller Begier des Gerichtspersonals kennenlernt, ist die Berechnung, sie zu seinem Vorteil und seiner Genugtuung einsetzen zu können, beherrschend, als er ihren Reizen nachgeben will: »ihr Anerbieten einer Hilfe klang richtig und war vielleicht nicht wertlos. Und es gab vielleicht keine bessere Rache an dem Untersuchungsrichter und seinem Anhang, als daß er ihnen diese Frau entzog.« Bei der Begegnung mit der Haushälterin des Advokaten – für sie sind Angeklagte erotisch attraktiv – wird Josef K. auf sein Kalkül selbst aufmerksam: »Ich werbe Helferinnen, dachte er fast verwundert, zuerst Fräulein Bürstner, dann die Frau des Gerichtsdieners und endlich diese kleine Pflegerin, die ein unbegreifliches Bedürfnis nach mir zu haben scheint.«
Einen zureichenden Grund für Verurteilung und Exekution geben solche Beweise von Lieblosigkeit und Berechnung, die ein moralisierender Betrachter Josef K. als Schuld zurechnen könnte, freilich nicht ab, zumal die Gerichtsbehörden diesem Kriterium in keiner Weise entsprechen. Wie das im Roman unterstellte Verhältnis von Schuld und Strafe zu verstehen ist, deutet ein Gedanke Josef K.s auf dem Weg zur ersten Untersuchung an, als er sich an den Spruch des Wächters erinnert, »daß das Gericht von der Schuld angezogen werde, woraus eigentlich folgte, daß das Untersuchungszimmer an der Treppe liegen mußte, die K. zufällig wählte«. Wenig später spricht er die Konsequenz dieses Gedankens gegenüber dem Untersuchungsrichter noch deutlicher aus: »es ist ja nur ein Verfahren, wenn ich es als solches anerkenne«. Das Gericht ist also ebenso mächtig wie ohnmächtig: ohnmächtig, da es von sich aus nicht in Tätigkeit treten kann und über keine der staatlichen Gerichtsbarkeit vergleichbaren Machtmittel verfügt, allmächtig dagegen, sobald es »von der Schuld angezogen«, d. h. von einem Schuldbewußtsein anerkannt und in Tätigkeit gesetzt wird, demgegenüber identifizierbare persönliche Mängel bedeutungslos erscheinen. Die Frage nach einem möglichen Verleumder, die der erste Satz aufwirft, beantwortet sich demnach paradox: Nicht ein übelwollender Dritter war hier im Spiel, sondern Josef K. selbst muß es gewesen sein, der sich jenseits aller bestimmten Verfehlungen einem Generalverdacht unterstellt hat, dem das Gericht nachgehen muß. Nicht kleine Gemeinheiten und Verfehlungen im Umgang etwa mit der Vermieterin, der Freundin Fräulein Bürstners oder dem Konkurrenten in der Bank, nicht die provokatorischen Unsittlichkeiten kommen als Grund für Josef K.s Exekution in Betracht, sondern der auf ihn selbst zurückgehende, vorausgesetzte Vorwurf genereller Schuldhaftigkeit. Die Figuren des Romans, auch die unbedeutendsten, wie die alte Frau im Fenster gegenüber, gewinnen Bedeutung als Personnage eines Verfahrens, das Josef K. gegen sich selbst inszeniert und in das er sich selbst als Hauptakteur so weit einläßt, daß ihm der Aufenthalt in der Alltagssphäre eines bürgerlichen Berufs als Bankangestellter mehr und mehr unmöglich wird. Daß es sich um K.s eigene Inszenierung handeln muß, macht auch der Brief deutlich, mit dem Kafka gegenüber Grete Bloch den seine Entlobung (Juli 1914) beschließenden »Gerichtshof«, der als Anlaß zur Konzeption des Romans gilt, erklärt: »Sie saßen zwar im Askanischen Hof als Richterin über mir . . . aber es sah nur so aus, in Wirklichkeit saß ich auf Ihrem Platz und habe ihn bis heute nicht verlassen« (15. 10. 1914). Die Frage, die sich von Anfang an aufdrängt, warum Josef K. eine Veranstaltung, die er für das »Sinnloseste« erklärt, »das es gibt«, nicht einfach verläßt, beantwortet sich ebenso: Er führt in ihr selbst Regie.
K.s Generalverdacht gegenüber sich selbst besagt, daß jede bestimmte Bestrebung seiner Subjektivität eine Abweichung von der zwar unbekannten, aber dennoch absolut gültigen Norm darstellt. Gerade die Fragwürdigkeit der Gerichtssphäre, die von ihm bemerkte »Sinnlosigkeit« der Veranstaltung, beweist ex negativo die Realität des Gesetzes. Insofern Josef K. sein Leben als Verfehlung des Sinns begreift, wird er auch verurteilt. Die Vollstreckung des Urteils entspricht so sehr seinem Willen, daß er sogar eine mögliche Störung in Gestalt eines Polizisten meidet sowie eine letzte Regung seines Lebenswillens, die darin besteht, nicht selbst Hand an sich legen zu wollen, als »letzten Fehler« begreift, um sogleich einen allerletzten zu begehen, indem er die Verantwortung dafür jemandem zuschreibt, »der ihm den Rest der dazu nötigen Kraft versagt hatte«. Sein letzter Gedanke ist denn auch dem schlechten Gewissen eingeräumt, sich nicht ganz freiwillig geopfert zu haben: »›Wie ein Hund‹, sagte er, es war als sollte die Scham ihn überleben.« K.s Übernahme einer prinzipiellen Schuld jenseits aller läßlichen Verfehlungen bringt gleichzeitig mit sich, daß er damit vor der Welt, die seine Exekution als Opferung sieht, entschuldigt erscheint. Auch im Verhältnis Kafkas zu Felice Bauer zeigt sich, wie Canetti bemerkt, ein vergleichbarer Vorgang: Der Tod von Felices Vater, von dem er im Dezember 1914 erfährt, ist ihm Anlaß, sich – unabhängig von zurechenbaren Fehlern – eine Gesamtschuld am Verderben der Familie zuzusprechen, bei der er sich beruhigen kann (Tagebuch, 5. 12. 1914).
Josef K. scheitert an der Radikalität, mit der er einem leeren Ideal von Recht und Sitte zur Durchsetzung an sich verhilft, demgegenüber sowohl die vorgestellte Gerichtsadministration verwerflich wie seine immer wieder vorgebrachten, rechtsstaatlich geprägten Vorstellungen abwegig erscheinen. In aller Härte, wenn auch gleichnishaft, wird Josef K. die Botschaft, daß der Sinn seines Daseins in dessen Sinnlosigkeit zu suchen sei, im Kapitel Im Dom vom Gefängnisgeistlichen durch eine vom Autor auch »Legende« genannte Erzählung aus den »einleitenden Schriften zum Gesetz« mitgeteilt (u. d. T. Vor dem Gesetz 1919 gesondert veröffentlicht). Hier scheitert ein »Mann vom Lande«, der lebenslang »Eintritt in das Gesetz« erstrebt, an den abschlägigen Bescheiden eines Türhüters, der ihm dennoch zuletzt bedeutet: »Diese Tür war für dich bestimmt, ich gehe jetzt und schließe sie.« Seinen Zweck trotz der vorgegebenen Notwendigkeit des Scheiterns nicht entschieden genug verfolgt, den Sinn nicht in der Sinnlosigkeit gesucht zu haben, wird ihm noch als »letzter Fehler« vorgehalten. Wie Josef K. scheitert der »Mann vom Lande« nicht aus einem bestimmten Grund, etwa weil er den Türhüter zu bestechen sucht, sondern an der prinzipiellen Unmöglichkeit, als Subjekt in das Gesetz einzugehen. Daß ein Eintritt in das Gesetz, das allenfalls als Schrift niedergelegt, nicht als Gebäude errichtet ist, nicht gelingen kann, ist die Falle des Gleichnisses, in die der Erzähler seine Figur gehen läßt, um der Botschaft Ausdruck zu geben: Die »unerschütterliche Logik« des negativen Ideals erfordert nicht resignierendes, sondern engagiertes Scheitern.
Dieser im »Prozeß« ausgestaltete Gedanke ist allen positiven religiösen Sinndeutungen, mit denen er sich durch die radikale Absage an Lebenswillen und subjektive Zwecksetzungen in Vergleich setzt, überlegen. Der unbekannte, jeder Erfahrung entzogene Sinn ist auch der Deutung und damit auch jeder Kritik voraus. Im Anschluß an die Erzählung der »Legende« ist dies im Roman ausgeführt in Form eines Disputs, den Josef K. mit dem Gefängnisgeistlichen über mögliche Täuschungen seinerseits bzw. auf seiten der Figuren der Legende führt. Bei der Sichtung einer Reihe von Deutungsmöglichkeiten lösen sich diese in bloße »Meinungen« auf im Verhältnis zur notwendigen Unbegreiflichkeit der Geschichte: »Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber.«
Solchem Vorgriff auf mögliche Deutungen des Romans haben die Interpreten mit wenigen Ausnahmen auch entsprochen. Wie die »einfache Geschichte« der Legende ist die des Romans durch die Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil widersprechender Deutungen im Laufe der Zeit »unförmlich geworden«. Bereits W. Benjamin bemerkte, daß Kafka »alle erdenklichen Vorkehrungen gegen die Auslegung seiner Texte getroffen« hat. Gerade deshalb bemühte er sich, die Nicht-Erklärung von Gesetz und Gericht im Roman, die Verrätselung des Geschehens durch die Legende – als handle es sich um hermetische Schriften –, dem Verständnis durch kulturhistorische Auslegung näherzubringen; die Gerichtsbarkeit führt nach ihm »weit hinter die Zeit der Zwölf-Tafel-Gesetzgebung in eine Vorwelt zurück, über die einer der ersten Siege geschriebenes Recht war«. Andere sind ähnlich verfahren und haben den Roman als Ausdruck positiver religiöser (M. Brod, M. Buber, E.  Heller) oder philosophischer (M. Bense, H. Ide, K.-H. Volkmann-Schluck, W. Emrich) Vorstellungen aufgefaßt. Wieder andere haben im Gerichtswesen des Romans eine »Prophezeiung« (Th. W. Adorno) nationalsozialistischer Herrschaftspraktiken gesehen. Gegen solche Deutungen ist zunächst eingewandt worden, sie vernachlässigten den spezifisch literarischen Charakter des Werks, weshalb sich die philologisch interessierte Auslegung neben der Erläuterung von Textbestand und Kapitelfolge (H. Uyttersprot, H. Binder u. a.) zunächst vor allem der Erklärung der Darstellungsmittel zugewandt hat (F. Beissner, M. Walser u. a.); dabei wurde besonders auf das Stilmittel der »erlebten Rede« (N.  Miller) und die Denkfigur des »gleitenden Paradoxes« (G.  Neumann) hingewiesen.
Daran anschließend haben spätere Interpreten angesichts der Vielfalt divergierender und konvergierender Meinungen die Auflösung der Paradoxien des Werks als Mangel der Interpretation verstanden und empfohlen, statt der »Wiederholung des paradoxen Zirkels« die »unerklärbare und unerklärte Schuld« als solche anzuerkennen (P. U. Beicken) sowie, statt die »Leerstellenkonzeption« des Romans zu tilgen, seiner prinzipiellen »Deutungsoffenheit« gerecht zu werden (Th. Elm). Beide Studien sind dennoch der vom Roman provozierten Versuchung einer recht eindeutigen Bestimmung seines Gehalts nicht entgangen. Während die eine diesen darin erblickt, daß der Autor im Roman metaphysische Spekulation »als parasitär entlarvt und damit . . . in ihre Kritik überführt« (Beicken), sieht die andere in ihm einen Hinweis auf die »transzendentale Begrenzung« der Vernunft, der es dem Leser ermöglicht, durch deren Anerkennung »die vom Glauben an die Allmacht des Denksystems verdeckten moralischen Gebote wiederzufinden« (Elm). Mit dem auf den Satz des Gefängnisgeistlichen anspielenden, von Frank Schirrmacher herausgegebenen Interpretationsband Verteidigung der Schrift (1987) erhält die Kafka-Auslegung einen neuen Akzent; sie tritt nicht mehr als Meinung über das Werk hervor, sondern erhebt den Anspruch, den objektiven, dem Werk zugrunde liegenden Gehalt zu entdecken. Die Autoren gehen davon aus, daß der Roman »in chronologischer Folge auf metaphysische, d. h. ›gerichtliche‹ Glaubens- und Denkmodelle« anspielt und sich als »Reflexionsprozeß . . . in allen seinen Details rekonstruieren und verstehen läßt«. Sie folgen dem Weg, den der Autor bei seiner Darstellung gegangen ist, in umgekehrter Richtung, indem sie die von ihm verwischten Spuren literarischer Vorlagen wieder sichtbar zu machen suchen. Dabei machen sie aber den Zweck der dichterischen Abstraktion von den Vorlagen, deren Umdeutung und Neufassung, weithin vergessen und lassen an die Stelle eines Urteils über das Werk und seine spezifische Absicht die verständnisvolle Assoziation treten. So kann der Meinungsstreit metaphysischer Interpretationen nun auf höherer Ebene fortgesetzt werden.
Dr. Friedrich Nemec

AUSGABEN: Bln. 1925, Hg. u. Nachw. M. Brod. – Bln. 1935 (in GS, Hg. M. Brod u. H. Politzer, 6 Bde., 1935–1937, 3). – Ffm. 1958 (in GW, Hg. M. Brod). – Ffm. 1979 u. ö., Hg. M. Brod (FiTb). – Ffm. 1990 (Der Proceß. Roman in der Fassung der Hs., Hg. M. Pasley). – Ffm. 1990 (Der Prozeß, Hg. J. Born, G. Neumann u. a., 2 Bde.; Krit. Ausg. der Werke).

ÜBERSETZUNGEN: Erste Übersetzungen des Romans erschienen 1933 in Frankreich, Italien und Norwegen. Es folgten 1936 eine polnische, 1937 eine englische und amerikanische, 1939 eine spanische, 1940 eine japanische, 1945 eine schwedische und eine dänische Ausgabe. In tschechischer Sprache erschien der Roman 1958 zum erstenmal.

DRAMATISIERUNG: A. Gide u. J.-L. Barrault, Le procès (Urauff.: Paris 1947, Théâtre Marigny; dt. Erstauff.: Bln. 30. 6. 1950, Schloßpark-Theater Steglitz).

VERTONUNGEN: G. v. Einem, Der Prozeß (Libretto G. v. Einem; Oper; Urauff.: Salzburg, 17. 8. 1953). – G. Schuller, The Visitation (Libretto G. Schuller; Oper; Urauff.: Hbg., 12. 10. 1966, Staatsoper).

VERFILMUNG: Le procés, Frankreich/Italien/BRD 1962 (Regie: O. Welles).

LITERATUR: G. Anders, K. Pro und Contra. Die Prozeß-Unterlagen, Mchn. 1951. – K. H. Volkmann-Schluck, Bewußtsein u. Dasein in K.s »Prozeß« (in NRs, 62, 1951, S. 38–4Rock. – M. Bense, Die Theorie K.s, Köln 1952. – H. Ide, F. K.: »Der Prozeß«. Interpretation des ersten Kapitels (in Jb. der Wittheit zu Bremen, 1, 1957, S. 66–104). – H. Uyttersprot, Eine neue Ordnung der Werke K. s? Zur Struktur von »Der Prozeß« und »Amerika«, Antwerpen 1957. – M. Buber, Schuld und Schuldgefühle (in Merkur, 9, 1957, S. 722–727). – G. Kaiser, F. K.s »Prozeß«. Versuch einer Interpretation (in Euph, 52, 1958, S. 23–49). – N. Miller, Erlebte und verschleierte Rede (in Akzente, 5, 1958, S. 213–226). – B. Allemann, K., »Der Prozeß« (in Der deutsche Roman, Hg. B. v. Wiese, Bd. 2, Düsseldorf 1963, S. 234–292). – M. Pasley, Two Literary Sources of K.'s »Der Prozeß« (in FMLS, 3, 1967, S. 142–147). – E. Canetti, Der andere Prozeß. K.'s Briefe an Felice, Mchn. 1969. – P. Pernthaler, Das Bild des Rechts in drei Werken von F. K. (»Amerika«, »Strafkolonie«, »Prozeß«) (in Dimensionen des Rechts. Gedächtnisschrift für R. Marcic, Hg. M. Fischer u. a., Bd. 1, Bln. 1974, S. 259–281). – E. Marson, K.'s »Trial«: The Case Against Josef K., St. Lucia 1975. – R. W. Jordan, Das Gesetz, die Anklage und K.s Prozeß: F. K. und Franz Brentano (in Jb. der Dt. Schiller-Ges., 24, 1980, S. 332–356). – C. Hebell, Rechtstheoretische u. geistesgeschichtliche Voraussetzungen für das Werk F. K.s, analysiert an dem Roman »Der Prozeß«, Diss. Mchn. 1981. – P. U. Beicken, K.s »Prozeß« u. seine Richter. Zur Debatte Brecht-Benjamin u. Benjamin-Scholem (in Probleme der Moderne. Studien zur dt. Literatur von Nietzsche bis Brecht, Tübingen 1983). – W. H. Sokel, »Der Prozeß«. Ironie, Deutungszwang, Scham u. Spiel (in Études germaniques, 39, 1984, S. 173–193). – J. Born, K.s Roman »Der Prozeß«: Das Janusgesicht einer Dichtung (in Was bleibt von F. K.? Positionsbestimmung/K.-Symposium Wien 1983, Hg. W. Schmidt-Dengler, Wien 1985). – R. R. Nicolai, K.s »Prozeß«. Motive u. Gestalten, Würzburg 1986. – L. Kirchberger, F. K.'s Use of Law in Fiction. A New Interpretation of »In der Strafkolonie«, »Der Prozeß« and »Das Schloß«, NY 1986. – Verteidigung der Schrift. K.s »Prozeß«, Hg. F. Schirrmacher, Ffm. 1987. – H. Burger, Rez. (in Romane von gestern – heute gelesen, Hg. M. Reich-Ranicki, Bd. 2, Ffm. 1989, S. 40–46). – Vgl. auch Literatur zum Autor.


Profunde Grüße
Sirius

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